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Segmentale Stabilisation


VORWORT

 

 

Liebe Leserin, lieber Leser

 

 Sie haben Rückenbeschwerden und sind in physiotherapeutischer oder ärztlicher Behandlung? Mit dieser kleinen Broschüre wollen wir Ihnen Unterstützung anbieten. Die Inhalte sind als Ergänzung zu Ihrem individuellen Behandlungs- plan gedacht und sollen Ihnen helfen, auch zu Hause weiter zu üben und Ihren Heilungserfolg zu unterstützen.

 

Mit Hilfe der hier zusammengefassten Übungsanleitungen zur segmentalen Stabili- sation beugen Sie vor, dass sich Ihre Rückenschmerzen verschlimmern bzw. erneut auftreten. Bei gutem Training können Sie akute und chronische Rückenbeschwer- den lindern und die Belastbarkeit im Alltag steigern. Die einfachen Erklärungen und verständlichen Anweisungen sollen Sie motivieren, Bewegungsängste anzugehen und Ihren ganz persönlichen Erfolg zu erzielen.

 

Wir bedanken uns bei den Verfassern dieses Blogs, die den Inhalt im Rahmen einer Projektarbeit an der Bethesda-Schule (Fachbereich Physiotherapie) erarbeitet und uns zur Veröffentlichung überlassen haben.

Wir wünschen Ihnen viel Erfolg und gute Besserung

 

Ihr SART-Team

 


Anatomie

Was sollte ich zur Anatomie wissen?

Die Rumpfmuskulatur wird aufgrund ihrer anatomischen Eigenschaft in zwei Systeme eingeteilt:

 

• in das globale, oberflächliche Muskelsystem

(Abb. 1) und

• in das segmentale, tiefe Muskelsystem

(Abb. 2 und 3).

1 Globales System

 

Das segmentale Muskelsystem besteht aus den Muskeln (Mm.) multifidi (Abb. 2) und aus dem Muskel transversus abdominis (Abb. 3).

Die Multifidi sind zahlreiche kleine Muskelbündel und erstrecken sich vom Steissbein bis zum Hals. In der Lendenwirbelsäule sind sie am kräftigsten ausgebildet.

Mm multifidi

Dieser Muskel verläuft quer von der Wirbelsäule bis zum Bauch. Er bildet ein tiefliegendes Korsett um den Bauchraum.

3 M. transversus

Welche Funktionen haben das globale und das segmentale Muskelsystem?

 

Das globale, oberflächliche Muskelsystem ist hauptsächlich für die grossen Rumpf- bewegungen zuständig, d.h. Seitneigen, Drehen und Aufrichten des Rumpfes.

Das segmentale, tiefe Muskelsystem ist für die segmentale Stabilisation und die Feineinstellung der einzelnen Wirbelsegmente zuständig.

 

 

Was bedeutet «segmentale Stabilisation»?

 

Segmentale Stabilisation bedeutet eine Schutzfunktion für die Wirbelsäule. Bevor eine Bewegung der Arme, Beine oder des Rumpfes ausgeführt wird, spannt sich das segmentale Muskelsystem an und stabilisiert somit die Wirbelsäule. Dadurch ist sie vor einwirkenden Kräften geschützt.

 

 

Wie arbeitet das segmentale System?

 

Die Muskeln des segmentalen Systems arbeiten

  • unwillkürlich, für uns kaum wahrnehmbar,
  • in Form einer feinen, langsamen Anspannung und
  • vor allem in einer Halte- und Stabilisierungsfunktion (Ausdauerkraft erforderlich).

Welche Muskeln unterstützen das segmentale System?

Der Beckenboden und das Zwerchfell vervollständigen die Funktionen des «Korsetts» und bilden zusammen eine Trommel mit Deckel und Boden.

 

Der Beckenboden funktioniert wie der Boden dieser Trommel. Er trägt die Last der Becken- eingeweide und übt somit eine Stützfunktion aus. Aktiv ist er zuständig für den Verschluss

von Harn- und Darmausgang.

 

Das Zwerchfell trennt die Brust- von der Bauchhöhle und bildet den Deckel der Trommel. Es ist außerdem der wichtigste Einatemmuskel.

 

Die einwirkende Kraft auf die Wirbelsäule während einer Bewegung wird auf die Wände der Trommel übertragen, sprich auf den M. transversus und die Mm. multifidi. Damit wird die Belastung auf die Wirbelsäule vermindert.

 

Was geschieht mit den stabilisierenden Muskeln bei Rückenschmerzen?

M. transversus abdominis:

Durch den Schmerz kommt es zur verspäteten Aktivierung des M. transversus.

Der Muskel verliert seine Fähigkeit, sich vor einer auf die Wirbelsäule auftreffenden Bewegung anzuspannen und kann somit den Schutz der Wirbelsäule nicht mehr ausreichend gewährleisten.

 

Mm. multifidi:

Diese Muskeln neigen bei akuten Rückenschmerzen vor allem dazu, an Umfang (Muskelmasse) zu verlieren. Gleichzeitig kann man auch eine schnellere Ermüdung erkennen, d.h. die Wirbelsäule ist über längere Zeit ungenügend geschützt.

Bei chronischen Rückenschmerzen kann es gar zu Umbauprozessen des Muskel- gewebes in Fettgewebe kommen. Dies führt zum Verlust der eigentlichen Funktion der Muskeln. Sie verlieren ihre Fähigkeit, die Wirbelsäule zu stabilisieren.

 

Was bedeutet dies für meine Wirbelsäule?

 Durch den Verlust der eigentlichen Funktion der wirbelsäulenstabilisierenden Muskeln ist die Wirbelsäule bei Bewegungen der Extremitäten oder des Rumpfes nicht mehr genügend geschützt. Dies bewirkt eine Belastungszunahme auf die einzelnen Wirbelsäulensegmente. Die Funktion der Trommel geht verloren. Somit können schon bestehende Rückenbeschwerden verstärkt oder die Voraussetzun- gen für Rückfälle geschaffen werden.

 

Was kann ich dagegen tun?

Um die Funktion des M. transversus und der Mm. multifidi wieder herzustellen, müssen wir sie isoliert von den anderen Rumpfmuskeln aktivieren. Die Anspan- nung der Muskeln sollte langsam, sanft und über längere Zeit erfolgen, um die natürliche Haltefunktion des Muskels zu gewährleisten. Die Voraussetzung um das selbständige, korrekte Arbeiten der Muskeln des segmentalen Systems wiederzu- erlangen, ist das mehrmals tägliche Aktivieren.

 

Die Übungen auf den nächsten Seiten sollen Ihnen zeigen, wie Sie trainieren können.

Übungen

I.   Sanftes Einziehen des Unterbauches

1.      

Sie liegen auf dem Rücken und legen eine Hand oberhalb und eine unterhalb des Bauchnabels auf.

 

2.      

Atmen Sie nun drei mal tief bis in Ihren Bauch ein. Sie fühlen, wie sich Ihre Hände beim Einatmen heben und beim Ausatmen senken.

 

3.      

Versuchen Sie nun bei der vierten Ausatmung Ihren Unterbauch langsam und sehr fein einzuziehen.

 

4.      

Halten Sie die Spannung (Transversusspannung) und atmen Sie gleichmässig weiter. Es bewegt sich nur noch die obere Hand.

Ziel:

Spannung 10 mal nacheinander 10 Sekunden halten. Keine Pressatmung

 

Achtung:

Keine Bewegung im Becken oder Rücken.

 

Kontrolle:

Kontrollieren Sie, dass das segmentale und nicht das globale System aktiviert ist. Gehen Sie mit Ihrem Daumen zwei fingerbreit von Ihren Beckenknochen in die Tiefe.

 

Globales System:

Heben Sie Ihren Kopf leicht von der Unterlage ab. Sie spüren wie Ihre Daumen durch die Anspannung nach oben gedrückt werden.

 

Segmentales System:

Führen Sie die oben beschriebenene Übung I nochmals durch. Beim sanften Einziehen des Unterbauches fühlen Sie keine Anspannung unter Ihrem Daumen.

II. Aktivierung des M. transversus im Sitz

1.      

Sie sitzen aufrecht an der Kante eines Stuhls. Stellen Sie sich vor, ein Faden zieht Sie vom Hinterkopf aus in die Länge (vgl. Abb. 6). Ihre Knie sind tiefer als Ihr Becken, Ihre Füsse hüftbreit am Boden. Ihre Hände sind in der Taille aufgestützt.

 

2.      

Atmen Sie drei mal tief in Ihren Unterbauch ein. Konzentrieren Sie sich auf die Bewe-gung Ihres Bauches.

 

3.      

Ziehen Sie nun bei der vierten Ausatmung Ihren Unterbauch langsam und sanft ein.

 

4.      

Atmen Sie gleichmässig weiter während Sie diese Spannung halten.

Ziel:

Spannung 10 mal 10 Sekunden halten.

 

Achtung:

Es gibt keine Bewegung im Becken oder Rücken. Halten Sie nicht den Atem an.

 

Kontrolle:

Kontrollieren Sie auch bei dieser Übung wieder, dass Sie das segmen- tale und nicht das globale System aktiviert haben. Legen Sie eine Hand auf den Unterbauch und die andere Hand auf den seitlichen Rippenbogen. Während Sie gleichmässig weiteratmen (vgl. Pkt. 4), spüren Sie im Unterbauch keine Bewegung. Die Rippen hingegen müssen sich heben und senken.

III. Transversusspannung mit Armbewegungen

1.      

Sie sitzen wie in Übung II. Die Hände sind gefaltet und liegen auf den Oberschenkeln.

 

2.      

Bauen Sie nun langsam die Transversus- spannung auf indem Sie den Unterbauch einziehen – atmen Sie regelmässig weiter.

 

3.      

Bringen Sie Ihre Arme langsam nach oben und wieder zurück ohne die Spannung zu verlieren.

 

 

 

Steigerung:

Arme nacheinander hochheben

 

 

Ziel:

Arme 10 mal hoch und runter bewegen – dabei die Transversusspannung die ganze Zeit konstant   beibehalten

 

Achtung:

Die Arme werden nie abgelegt. Es gibt keine Bewegung im Rücken (vgl. Abb. 9).

IV. Füsse abheben mit Transversusspannung

1.      

Sie sitzen wie in Übung II. Die Hände sind in der Taille aufgestützt.

 

2.      

Bauen Sie langsam die Transversusspan- nung auf und atmen Sie regelmässig weiter.

 

3.    

Heben Sie nun abwechselnd den rechten bzw. linken Fuss zehn Zentimeter vom Bo- den ab – ohne die Spannung zu verlieren und das Becken zu bewegen. Kontrollieren Sie Ihr Becken durch die Hände.

 

 

Ziel:

Jeden Fuss 5 mal langsam vom Boden abheben mit korrekter Transversusspannung.

 

Achtung:

Keine Bewegung im Becken zulassen!

Hinweis:

Die Übungen sollten immer in einer schmerzfreien Position durch- geführt werden. Die Transversusspannung kann auch über den Beckenboden erreicht werden: Wenn Sie die Beckenbodenspannung kennen, können Sie bei der Übungsausführung den Beckenboden aktivieren und erreichen damit auto- matisch auch eine Anspannung des M. transversus.

 

Versuchen Sie, die Transversusspannung so oft wie möglich im Alltag zu üben, z. B. beim Aufstehen, Abwaschen oder beim Zähneputzen.


 

Quellennachweis / Impressum

 

Ausbildungsunterlagen Bethesda Schulen Basel, Bereich Physiotherapie, Segmen- tale Stabilisation, verantwortlich Philippe Merz, Instruktor FBL Klein-Vogelbach

 

Hamilton C., Richardson C. (1997) Neue Perspektiven zu Wirbelsäuleninstabilitäten und lumbalem Kreuzschmerz: Funktion und Dysfunktion der tiefen Rückenmuskeln. Manuelle Therapie. 1: 17-24

 

Hides J. A., Jull G. A., Richardson C., Hodges P. (1997) Lokale Gelenkstabilisation: Spezifische Befunderhebung und Übungen bei lumbalen Rückenschmerzen.

Manuelle Therapie. 3: 8-15

 

Klein-Vogelbach S. (2003) Funktionelle Bewegungslehre: Ballübungen. 4. Aufl. Springer. S. 25-37

 

Klein-Vogelbach S. (2000) Funktionelle Bewegungslehre: Bewegung lehren u. lernen. 5. Aufl. Springer. S. 279-340

 

Abb. 1-3: Hochschild J. (2002) Strukturen und Funktionen begreifen. Funktionelle Anatomie – Therapierelevante Details. Band 2. Thieme, Stuttgart, New York

 

Abb. 4-10: Zet Design


Impressum

 

Herausgeber/Kontakt

Universitätsspital Basel 

www.unispital-basel.ch 

1. Auflage: 2012

Verfasser: Heike Scheidhauer, Christine Dürrenberger, Sandra Kaufmann, Rebecca Keusch, Nicole Meyer, Karin Rickenbacher, Michele Rüedi