Der letzte Freitag im Monat ist Netzwerk Blog Tag. Im November gibt uns Simon Heinis Leiter Physiotherapie aus der Merian Iselin Klinik, Auskunft über die 5 Phasen der Wundheilung.
Viel Lesevergnügen!
Eure Sart
Die Wund(er)heilung… ein Erklärungsversuch für Patienten
Wunden entstehen durch innere oder meist äussere Krafteinwirkungen. Eine Wunde (griechisch: trauma) beschreibt die Trennung der Kontinuität des Gewebes an äusseren oder inneren Körperoberflächen.
Die zum Beispiel vor der Belastung nicht optimal vorbereitete Muskulatur oder die Bänder, Sehnen, Gelenkkapseln werden durch eine Bewegung überfordert und verletzen sich. Dies führt zu sofortigen Reaktionen des Körpers, welche im Grundsatz immer ähnlich ablaufen. Je nach Grösse der Verletzung und nach verletzter Struktur können die Prozesse in Umfang und Zeit variieren. Die in diesem Artikel erwähnten Zeiten beziehen sich auf eine Verletzung von sogenanntem kollagenem Bindegewebe, hier z.B. ein gerissenes Gelenksband am Knöchel.
Die Wundheilung ist ein natürlicher biologischer Prozess. Ziel ist die völlige, funktionelle wie kosmetische Wiederherstellung. Die ist nur selten in vollem Umfang zu erreichen . Oft bleibt eine Narbe zurück.
Man unterscheidet typischerweise drei bis fünf Phasen der Wundheilung. Der Klarheit halber, zeige ich Ihnen nun im Folgenden die fünf Phasen der Wundheilung auf. Eine Wundheilungsbeschleunigung gibt es leider nicht. Eine optimale Wundversorgung und somit eine komplikationslose Wiederherstellung, sowohl funktionell, wie auch kosmetisch lässt sich jedoch durch gewisse Massnahmen unterstützen. Daher ist es wichtig, die therapeutisch relevanten Massnahmen pro Phase zu kennen und zu berücksichtigen.
Die fünf Phasen der Wundheilung
1. Latenzphase
Sehr kurz und nicht klar zu Phase 2 abgrenzbar. Das aus der verletzten Blutbahn austretende Blut wird durch ein Blutgerinnsel gestoppt. Während der Latenzphase sind keine weiteren sichtbaren Veränderungen wahrzunehmen. Diese Phase kann durch eine medikamentöse blutverdünnende Therapie (z.b. Aspirin Cardio) verlängert sein.
2. Exsudationsphase, Entzündungsphase
Die Entzündung gehört zur normal verlaufenden Wundheilung und sollte wenn möglich nicht unnötig beeinflusst werden. Diese ist als eine Selbstreinigung zu verstehen. Das Wundgebiet wird gereinigt, damit das frische Gewebe in eine keimfreie, saubere Umgebung einwachsen kann. Das verletzte Gebiet wird mit Wundsekret gefüllt. Darin befinden sich Thrombo- und Leukozyten, Blutkörperchen, welche mit Hilfe von Fibrin ein natürliches Abwehrnetz gegen neue Keime bilden. Das körpereigene Immunsystem spielt dabei eine bedeutende Rolle. Es wirkt bei der Abtötung von Keimen mit und aktiviert den Heilungsprozess.
Wunden sollten jedoch sauber gehalten und vor äußeren Einflüssen geschützt werden, damit die Heilung gefördert werden kann.
Die Entzündungsphase ist gekennzeichnet durch Schmerz, erhöhte lokale Wärme, Rötung (mehr Durchblutung) und Schwellung (Stabilisation des Wundgebietes). In dieser Phase sollte das verletzte Gebiet soweit wie möglich ruhig gestellt werden.
Anwendungen wie Eis sind sparsam zu nutzen und helfen vornehmlich im Schmerzmanagement. Ausserdem soll das frisch stabilisierte Wundgebiet so wenig Stress wie nötig haben und gegebenenfalls mit einem funktionellen Verband gestützt werden. Auch entzündungshemmende Medikamente sind moderat und nur bei überschiessender Reaktion anzuwenden. Versuchen sie die Schmerzen mittels zentral wirkender Schmerzmedikation positiv zu beeinflussen.
Die Dauer der Entzündungsphase kann bis zu 7 Tage reichen und geht fliessend in die nächste Phase über.
3. Granulations- oder Proliferationsphase
Diese Phase nennen wir auch quantitative Phase, bei welcher der Organismus versucht so schnell wie möglich das entsprechende Ersatzmaterial, in grossen Mengen in die betroffene Region zu bringen. Durch Zellteilungen wird neues Bindegewebe gebildet. Wunden werden zunehmend geschlossen, die Heilung beginnt. Während der Neubildung der Zellen wird zugleich das zuvor aufgebaute Fibrinnetz nach und nach wieder abgebaut.
Um diese Neubildung zu gewährleisten, benötigt der Körper entsprechende Reize und Ressourcen. Die Energie soll über den Sauerstoffstoffwechsel zur Verfügung gestellt werden, das heisst zu hohe Belastungen in die Übersäuerung und somit in den anaeroben Stoffwechsel sind zu vermeiden. Bewegung stimuliert die Produktion von neuen Fasern und gleichzeitig schafft sie entsprechende Reize um die Faserverlaufsrichtung der neu gebildeten Fasern des verletzten Bandes zu definieren. Dies wiederum bedeutet, dass wir moderate Bewegung als Reiz für die Faserausrichtung als sinnvoll erachten. Mit dem Bewusstsein, dass die bereits wieder neu eingewachsenen Fasern noch keine ausreichende Belastbarkeit haben. Überdosierung, aber auch vollständige Immobilisation fördern die Narbenbildung und Kontrakturen und sind zu vermeiden.
Die Dauer der Proliferationsphase dauert ca. 21-28 Tage.
Mangelernährung und Stoffwechselerkrankungen können die Dauer des Heilungsprozesses jedoch stark beeinflussen.
4. Umbau-, Remodulierungsphase
Das Wundgebiet wird weiterhin stabilisiert und schrumpft ein wenig. Wir sprechen vom Beginn der qualitativen Phase, welche dadurch gekennzeichnet ist, dass es zur Umwandlung der Kollagenen Fasern in belastbarere, qualitativ hochwertigere Fasern gibt. Die Länge der Fasern sollte nun soweit den Bedürfnissen entsprechen und keine störenden Querverbindungen (sog. Crosslinks) mehr vorhanden sein. Die Belastbarkeit und somit die Belastung in der Rehabilitation nimmt zu. Die Belastung der verletzten Region wird der später geforderten Funktion (z.B. Stabilisation des Gelenkes) entsprechend angepasst und gesteigert. Die Dauer der Remodulierungsphase dauert etwa 60-80 Tage. Die Zugkraft des Bindegewebes ist nun bei etwa 60% des Ausgangswerts.
5. Maturations-, Reifungsphase
Maturation bezeichnet die Zeit der Reifung des Narbengewebes. Es findet eine weitere Verfestigung des Gewebes statt, der Flüssigkeitsanteil im Narbengewebe nimmt ab und Fasern werden dichter. Die Dauer und somit die Erneuerung des verletzen Bandes kann 300-500 Tage dauern. Entscheidend hierfür ist der Ablauf der ersten Phasen. Wurden genügend Kollagenfasern gebildet, welche sich nun spezialisieren können?
Das alles bei einem optimalen Verlauf. Unzählige Faktoren können die Wundheilung zeitlich und qualitativ negativ beeinflussen.
- Durchblutungsstörung
- Infektionen (lokal, systemisch)
- Alter (durch schlechtere Nahrungsversorgung)
- Krankheiten (z.B. Diabetes)
- Medikamente (z.B. Krebsmedikamente, Immunsuppressiva)
- Alkohol
- Nikotin
Therapieansätze pro Phase
Latenzphase: Ruhe
Entzündungsphase: – 7 Tage, Ruhe, Schmerztherapie
Proliferationsphase: -28 Tage, Bewegung ohne Schmerz, aerobe Belastung, Beweglichkeitstraining, Beginn Koordinationstraining
Remodulierung: – 60 Tage, Zeit- und Phasengerechte Steigerung der Belastung
Maturationsphase: -500 Tage, Sportspezifisches Training
Ausheilungszeiten verschiedener Gewebetypen, bei optimalem Wundheilungsverlauf.
Knochengewebe
4-12 Wochen
Sehnen/Bänder/Kapsel
300-500Tage
Haut
5-10Tage
Muskelgewebe
16-21 Tage
Lymphgefässgewebe
4-6 Monate
Gelenkknorpelgewebe
Geschätzt 300 Jahre, nicht in ausreichender Zeit regenerierbar
Um sich den Verlauf plastisch vorstellen zu können, gebrauche ich häufig folgenden Vergleich:
Stellen Sie sich vor, es gibt einem kleinen Rohrbruch im Keller. Das Wasser strömt (Latenzphase) Sie bemerken dies und versuchen zuerst mit ihrer Hand das Austreten zu verhindern (Entzündungsphase) und rufen um Hilfe (Schmerz). Die Hand sollten sie so wenig wie möglich bewegen (Ruhe), sonst tritt das Wasser wieder aus. Das System ist ziemlich fragil und sie versuchen, mittels eines Lappens den Defekt zu schliessen um weitere Massnahmen ergreifen zu können (Proliferationsphase, schnelle aber nicht nachhaltige Lösung). Nun können Sie vorsichtig loslassen, vermeiden es aber zu fest am Lappen zu ziehen (dosierte Belastung), da dieser nicht stabil genug ist und dann atmen sie mal in aller Ruhe durch… (aerober Stoffwechsel).
Nun werden Sie entscheiden welchen Handwerker sie mit der Reparatur beauftragen, dieser wird sich die Sache nochmals anschauen, gegebenenfalls ein Provisorium einrichten (Remodulierungsphase) und dann anschliessend im Abgleich mit ihren Bedürfnissen an ihre Situation die alten Rohre ersetzen (Reifungsphase).
Simon Heinis, PT
Leiter Physiotherapie Merian Iselin Klinik Basel
www.merianiselin.ch