Mit Hilfe der instrumentierten Ganganalyse ist es möglich, objektive Daten zum Gangbild verschiedener Personen oder Patienten zu erhalten. Dazu gehören neben Weg-Zeit Parametern—wie Schrittlänge, Schrittzeit oder Länge der Standphase—auch Gelenkswinkel oder -kräfte während dem Gehen. Im Forschungsbereich werden für die Erfassung dieser Daten häufig Infrarot-Kamerasysteme in Kombination mit Kraftmessplatten und Muskelaktivitätsmessungen verwendet. Ein Nachteil solcher Systeme ist der grosse zeitliche Aufwand für die Messung, ein umfangreiches technisches Wissen und die Kosten für die Geräte. In letzter Zeit werden daher vermehrt auch Systeme mit Inertialsensoren oder Inertial Measurement Units (IMUs) für die Ganganalyse verwendet. Aus den 3D Daten dieser Beschleunigungssensoren, Magnetometern und Gyroskopen kann die Bewegung des menschlichen Körpers zum Beispiel während des Gehens aufgezeichnet werden. Der Vorteil solcher Inertialsensor-Ganganalysesysteme ist, dass die Messungen nicht an ein Labor gebunden sind und der Zeitaufwand für eine Analyse ca. 10-15 Minuten beträgt.
Für ein kommerziell erhältliches Ganganalysesystem (RehaGait®) basierend auf Inertialsensoren haben wir im Labor für Funktionelle Biomechanik in der Klinik für Orthopädie und Traumatologie am Universitätsspital Basel in verschiedenen Studien untersucht, wie gut die gemessenen Parameter mit anderen Systemen (z.B. Kamerasysteme, Laufband mit Druckmessplatte) übereinstimmen. Bei diesem System werden die Sensoren beidseits am Fuss, Unterschenkel und Oberschenkel, sowie am Becken/unterer Rücken angebracht und es können Weg-Zeit Parameter und Gelenkswinkel für Sprung-, Knie- und Hüftgelenk in der Sagittalebene gemessen werden.
Für Schrittlänge, Schrittzeit und Kadenz zeigte sich eine sehr gute Validität im Vergleich zum mit einer Druckmessplatte instrumentierten Laufband (Zebris) mit geringen Unterschieden zwischen den beiden Systemen. Bei jungen gesunden Probanden Schrittlänge und Schrittzeit waren dabei bei der Messung mit den Inertialsensoren etwas grösser und die Kadenz etwas kleiner als bei der Messung des instrumentierten Laufbandes (Donath et al. 2016a). Ähnliche gute Resultate zeigten sich auch bei gesunden Senioren (Donath et al. 2016b). Bei beiden Studien wurden die gemessen Parametern auch für Gehen auf dem Laufband mit 15% Steigung untersucht. Auch hier zeigte sich eine gute Validität, der Unterschied zwischen den beiden Systemen war aber etwas grösser als für das ebene Gehen (Donath et al. 2016a/b). Die Messungen wurden jeweils nach einer Woche wiederholt, um die Reliabilität des RehaGait Systems zu überprüfen. Für Schrittzeit und Kadenz zeigte sich eine sehr gute Wiederholbarkeit beim ebenen Gehen. Die Wiederholbarkeit der Schrittlänge war sowohl bei den jungen Gesunden und wie auch bei den gesunden Senioren gut, aber geringer als bei den anderen Parametern (Donath et al. 2016a/b).
Neben dem den Weg-Zeit Parameter spielen auch die Gelenkswinkel eine wichtige Rolle bei der Analyse des menschlichen Gangs. Häufig werden dabei der Verlauf der Winkelkurven während eines Gangzyklus, aber auch Maximalwerte oder Winkel zu bestimmten Zeitpunkten des Ganges angeschaut und zwischen Messungen verglichen. In einer weiteren Studie haben wir untersucht, ob sich die Gelenkswinkel gemessen mit der RehaGait mit den Winkeln, die von einem optoelektronischen System (Vicon) mit reflektierenden Markern gemessen werden, unterscheiden (Nüesch et al. 2017). Für Gehen auf dem Laufband zeigte sich dabei eine gute Vergleichbarkeit der beiden Systeme. Auffallend war allerdings, dass v.a. bei der Hüftflexion und Hüftextension ein Unterschied zwischen den beiden Systemen vorhanden war (v.a. eine parallele Verschiebung der Kurven).
Dies war vermutlich auf eine unterschiedliche Definition/Bestimmung der neutralen Gelenksposition (0° Winkel) zurückzuführen. Der mittlere Unterschied („root mean square error“) zwischen den Winkeln während einem Gangzyklus betrug für Sprung-, Knie- und Hüftgelenk weniger als 10°. Nach der Korrektur für die Unterschiede in der neutralen Gelenksposition konnten die Unterschiede zwischen den drei Winkeln in der Sagittalebene auf weniger als 5° reduziert werden. Während die Unterschiede über den gesamten Gangzyklus nach dieser Korrektur gering waren, zeigten sich bei den absoluten Winkeln (Maximale Flexion/Extension während Gangzyklus) ohne Korrektur für die Neutralposition teilweise deutliche Unterschiede (bis 15°) bei den Werten. Diese diskreten Winkel können daher nicht direkt zwischen den beiden Systemen verglichen werden. Dabei spielt wahrscheinlich eine Rolle, dass beide Systemen (Inertialsensoren und optoelektronisch) nicht die wirklich in den Gelenken bestehenden Winkel messen, sondern diese über unterschiedliche Modelle und Berechnungen bestimmen.
Diese Studien bilden die Grundlagen für den Einsatz eines solchen mobilen, auf Inertialsensoren basierenden Systems in der klinischen Forschung zum Gangbild von orthopädischen Patienten. Sie haben uns gezeigt, dass die Weg-Zeit- und Winkelparameter gemessen mit dem Inertialsensorsystem vergleichbar sind anderen Systemen (Laufband mit Druckmessplatte, optoelektronisch). Durch den geringen zeitlichen Aufwand und die Möglichkeit, die Ganganalyse auf jedem flachen Gang (am besten 20-30m) durchzuführen, können wir somit effizient objektive Daten zum Gangbild der Patienten vor und nach einer Behandlung erfassen.
Corina Nüesch
Referenzen
- Donath L, Faude O, Lichtenstein E, Nüesch C, Mündermann A. Validity and reliability of a portable gait analysis system for measuring spatiotemporal gait characteristics: comparison to an instrumented treadmill. Journal of Neuroengineering and Rehabilitation. 2016a; 13:6
- Donath L, Faude O, Lichtenstein E, Pagenstert G, Nüesch C, Mündermann A. Mobile inertial sensor based gait analysis: Validity and reliability of spatiotemporal gait characteristics in healthy seniors. Gait Posture. 2016b; 49:371-374
- Nüesch C, Roos E, Pagenstert G, Mündermann A. Measuring joint kinematics of treadmill walking and running: Comparison between an inertial sensor based system and a camera-based system. Journal of Biomechanics. 2017; 57:32-38